Faszination Somnum

von Leonardo Iantorno

Wer nicht schläft, stirbt irgendwann. Warum ist Schlaf so wichtig und wie zeigt sich Schlafentzug in unserem Alltag? Auf diese und andere Fragen gibt die Somnologin Dr. Katharina Stingelin im Interview Antwort.

29.10.2024

DR. KATHARINA STINGELIN IM INTERVIEW

Du bist Somnologin. Was ist das und wie wird man eine?

Eine Somnologin ist eine Schlafexpertin. Das leitet sich ab vom lateinischen somnum, was Schlaf bedeutet. Eine Somnologin klärt Schlafprobleme ab, diagnostiziert Schlafprobleme und therapiert diese dann auch. In der Schweiz braucht man zunächst eine medizinische oder naturwissenschaftliche Vorbildung, einen Doktortitel und noch einige weitere Schritte, um sich als Somnologin akkreditieren lassen zu können. Die Somnologie ist noch ein kleines Gebiet der Medizin, das sich jedoch weiterentwickelt und wächst, was gut und wichtig ist.

Was fasziniert dich am Phänomen Schlaf?

Ich bin durch Zufall zum Schlaf gekommen. Während des Studiums habe ich ein Wahlfach zum Thema Schlaf bei Tier und Mensch besucht und das hat mein Interesse geweckt. Ich habe meine Master- und Doktorarbeit in diesem Bereich geschrieben. Das Interesse ist geblieben und ich bin in der Schlafmedizin gelandet.

Es gibt über achtzig bekannte Schlafkrankheiten. Einige davon sind körperlich, andere psychisch bedingt. Die Zusammenhänge und die Arbeit an diesen Phänomenen faszinieren mich bis heute und deshalb bin ich sehr gerne Somnologin. Mich begeistert es, Schlafprobleme nicht nur zu identifizieren, sondern Menschen dann auch konkret weiterhelfen zu können. Schlaf ist ein Thema, das wirklich alle betrifft und alle erleben, wie wichtig Schlaf für das eigene Leben und Wohlbefinden ist.

Was passiert mit uns, wenn wir schlafen?

Vereinfacht gesagt betreten wir im Schlaf das Unterbewusstsein. Wir können unser Verhalten nicht mehr steuern und was im Gehirn währenddessen geschieht, ist unglaublich komplex. Wir durchlaufen unterschiedliche Schlafstadien und auch unsere Atmung verändert sich. Im Detail können wir vieles bis heute nicht definitiv erklären, weil wir schlafende Menschen nicht direkt befragen können. Schlaf ist ein Phänomen, das uns zeigen kann, was für Wunderwerke Gottes wir sind und dass wir eben nicht alles letztendlich erklären können.

Wie wichtig ist Schlaf wirklich und warum brauchen wir ihn?

Warum wir Schlaf brauchen, kann man bis heute nicht endgültig beantworten. Man weiss allerdings, dass wir ohne Schlaf garantiert sterben. Der Mensch ist kein Perpetuum mobile und kann ohne Erholung und Schlaf nicht überleben. Wir können Schlaf auch nicht mit anderen Dingen wie Essen und Trinken ersetzen.

Wir wissen heute, dass zu wenig Schlaf Auswirkungen z. B. auf unser Wohlbefinden hat. Im Kleinkindalter lernen wir unglaublich viel und saugen das Neue wie ein Schwamm auf. In dieser Lebensphase ist Schlaf für all die komplexen Lernprozesse besonders wichtig. Beim Lernen im Erwachsenenalter ist Schlaf für das Speichern und Verarbeiten des Neuen von zentraler Bedeutung. Wenn uns Schlaf fehlt, zeigt sich das unter anderem darin, dass wir langsamer werden, mehr Fehler machen, Heisshungerattacken erliegen oder emotional labil werden. Eine Nacht mit zu wenig Schlaf ist noch kein Problem, doch wo dies über mehrere Tage oder sogar Monate anhält, schadet es unserem Körper.

Woran kann es liegen, dass wir mit dem Schlafen Probleme bekommen?

Eine Insomnie, eine stressbedingte Schlafstörung, kann viele Ursachen haben. Das können ein Todesfall im persönlichen Umfeld, ein Umzug, die Einschulung oder ein Jobwechsel sein. Solche Veränderungen beschäftigen uns, lassen die Gedanken kreisen und können dafür sorgen, dass wir schlecht einschlafen. Wo wir uns psychisch oder emotional nicht abgrenzen können, kann das unseren Schlaf beeinträchtigen. Aber auch körperliche Symptome wie Atemaussetzer können die Schlafqualität mindern. Der Unterschied zwischen psychischen und körperlichen Schlafstörungen liegt in der Therapie. Bei Stress geht es vor allem um Verhaltensänderungen, während bei körperlichen Beschwerden medizinisch nachgeholfen werden kann.

Wann sollte ich eine Somnologin aufsuchen, wie klärt sie Schlafprobleme ab und wie kann eine Behandlung aussehen?

Je länger wir an Schlafproblemen leiden, desto länger dauert auch die Therapie. Deshalb sollte man bei Schlafproblemen, die länger als vier Wochen andauern, Hilfe aufsuchen. Nach Möglichkeit sollte man nicht zuerst mit Medikamenten gegen die Probleme angehen, sondern sich an eine Schlafklinik oder ein Schlafzentrum überweisen lassen.

Um die Probleme identifizieren zu können, wird ein Erstgespräch geführt. Die Patientin oder der Patient füllt ergänzend einen Fragebogen aus. Danach werden erste Schritte geplant, wie z. B. eine Nacht im Schlaflabor, eine zweiwöchige Messung zuhause mit Hilfe eines Bewegungsmessers oder das Ausfüllen eines Schlafprotokolls. Danach werden die Ergebnisse ausgewertet und konkrete weitere Massnahmen geplant. Ob Medikamente dabei helfen können, hängt von der Schlafproblematik ab. Grundsätzlich gilt es, Medikamente nur vorübergehend einzusetzen.

Viele Menschen sind von Schlafproblemen betroffen. Doch wie offen reden sie darüber?

In meinem Umfeld wissen die meisten, dass ich Somnologin bin, und so werde ich immer wieder mit Anfragen konfrontiert und um Rat gefragt. Ich habe den Eindruck, dass Menschen eher ungern darüber reden, wenn sie bereits mit Medikamenten nachhelfen.

Wenn man jünger ist, spielt man Schlafprobleme schnell runter. Der Körper erholt sich schneller und einfacher, wenn er in jungen Jahren weniger Schlaf bekommt. Mit dem Alter verändert sich der Umgang unseres Körpers und unserer Psyche mit zu wenig Schlaf und so wird es zu einem wichtigen Thema.

Haben Schlafprobleme zugenommen?

Früher hat man den ganzen Tag auf dem Hof gearbeitet und ist dann abends müde und erschlagen ins Bett gefallen. Heute gibt es andere Schlafprobleme, die jedoch auch mehr abgeklärt werden. Sie sind ein Resultat unseres Lebensstils und des Luxus, der uns heute zur Verfügung steht. Es gibt neue Stressfaktoren, wie die grosse Medienflut oder die vielen Kriegssituationen und Krisen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden.

Wie wirkt sich Schlafentzug konkret auf uns aus?

Schlafentzug ist vielfältig. Wenn ich an einem Abend einen Film anschaue und deshalb später als gewohnt zu Bett gehe, ist das noch kein Schlafentzug. Aber auch diese Verkürzung der Schlafzeit werde ich am nächsten Morgen bemerken. Eine ganze Nacht ohne Schlaf führt bereits zu einer klaren Verlangsamung der Reaktionsfähigkeit. Chronischer Schlafentzug, z. B. durch wache Kinder oder beruflichen Druck, wirkt sich nach etwa einem Monat auch auf unsere Reaktions- und Leistungsfähigkeit aus. Sekundenschlaf, Arbeitsunfälle, Genervtheit, Verlangsamung, Flüchtigkeitsfehler oder Kopfschmerzen sind einige der möglichen Symptome im Alltag. Man kann das durch Zuckerzufuhr, noch mehr Beschäftigung und andere Aktivitäten kurzzeitig kompensieren, doch wenn man dann zur Ruhe kommt, stellt man fest, wie sehr man den Schlaf eigentlich bräuchte.

Wenn man auf Schlafentzug und Schlafprobleme nicht reagiert und keinen Schlaf mehr bekommt, steigt das Herzinfarktrisiko und man wird psychisch immer labiler. Woran man schliesslich stirbt, ist nicht so leicht zu beantworten, doch sicher ist, dass man ohne Schlaf stirbt. Nicht umsonst war dies früher eine Foltermethode.

Du hast selbst schon unter Schlafproblemen gelitten. Was hat dir geholfen?

Im letzten Jahr habe ich meine Arbeitsstelle gewechselt, war motiviert etwas Neues zu beginnen und zu lernen. In dieser Phase konnte ich nicht gut schlafen und habe das anfangs auf die Veränderungen bzw. den Neuanfang zurückgeführt. Doch auch nach einiger Zeit wurde es nicht besser und meine Gedanken kreisten immer um Themen aus der Arbeit. Mein Schlaf wurde immer unruhiger. Es handelte sich um eine akute Insomnie. Ich musste die Konsequenzen daraus ziehen, habe gekündigt und ging zurück in die Schlafmedizin. Durch die erneute Veränderung habe ich wieder in einen gesunden Schlaf zurückgefunden.

Ich bin ein echter Morgenmensch und das auch am Wochenende. Ich merke immer, wenn ich abends später ins Bett gehe als gewohnt, da ich morgens trotzdem früh wach bin. Als ich im Schlaflabor Nachtschichten machen musste, habe ich unter dem Schichtarbeitersyndrom gelitten, weil ich zwar morgens nach Hause kam, dann aber nicht schlafen konnte. In dieser Zeit fühlte ich eine depressive Verstimmung, war antriebslos an meinen freien Tagen und war schlecht gelaunt, obwohl ich eigentlich ein initiativer Mensch bin.

Schlaf ist ein Phänomen, das uns zeigen kann, was für Wunderwerke Gottes wir sind und dass wir eben nicht alles letztendlich erklären können.

Was können wir tun, um uns den Schlaf zu erleichtern?

An oberste Stelle würde ich regelmässige Bettzeiten setzen. Viele Menschen brauchen beim Wechsel von Sommer- auf Winterzeit mehrere Tage bis Wochen, bis sich der Körper an diese eine Stunde Verschiebung gewöhnt hat. Dabei spielt es keine Rolle, wann ich ins Bett gehe oder aufstehe. Vielmehr ist ein regelmässiger Rhythmus für unseren Körper sehr wichtig. Ich würde ausserdem empfehlen, keinen Kaffee nach 16.00 Uhr zu trinken, keinen Alkohol kurz vor dem Schlafen zu sich zu nehmen und wenn möglich wenig Medien direkt vor dem Zubettgehen zu konsumieren. Wenn das nicht möglich ist, muss man in Kauf nehmen, dass man am nächsten Tag müder ist als sonst. Es kann helfen, wenn wir uns auf den Schlaf vorbereiten, indem wir Stressfaktoren in der Zeit vor dem Schlafen reduzieren, wie z. B. emotionale Fussballspiele im TV oder Lichteinflüsse.

Inwiefern hilft dir dein Glaube bei der Arbeit?

Schlaf ist ein gottgegebenes Geschenk. So will ich das auch sehen und annehmen. Ich habe während meines Studiums und in der Forschung immer wieder darüber gestaunt, wie genial Gott uns designt hat und wie auch der Schlaf zu seiner Schöpfung gehört.

Ich wache morgens auf und das Erste, was ich tue, ist ein ausgiebiges Fürbitte-Gebet zu sprechen, um so in den Tag zu starten. Bei der Arbeit zeigt sich mein Glaube vor allem in meinem Umgang mit den Patientinnen und Patienten, die zu mir kommen. Ich will für sie die bestmögliche Behandlung und mache mir immer wieder bewusst, dass Gott sich für uns das Beste wünscht. Jesus ermutigt uns dazu, den Menschen so zu begegnen und mit ihnen umzugehen, wie wir es uns für uns selbst wünschen würden. Hier erlebe ich immer wieder, wie sich meine Haltung den Menschen gegenüber verändert und zu einer anderen Art der Begegnung führt.

Zur Person:

Dr. Sc. Nat. Katharina Stingelin ist seit über zehn Jahren und mit grosser Leidenschaft Schlafexpertin (Somnologin SGSSC). Sie arbeitet im somnologischen Team im Zentrum für Schlafmedizin AG in Zollikon. Sie be zeich net sich selbst als Morgenmensch und Langschläferin. Sie ist 41 Jahre alt, verheiratet und lebt im Aargau. Ihre Freizeit verbringt sie gerne auf dem Rennvelo. Sie liebt es, kreativ zu sein und Zeit allein mit Gott in der Natur zu verbringen.

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Text // Leonardo Iantorno Er ist ein Lautdenker, Redenschwinger, Doppel-Daddy und leitender Pastor der EFRA in Rafz (ZH). Auch wenn seine Tage oft voll und vielfältig sind, geniesst er einen sehr tiefen Schlaf, bei dem er nichts mehr von der Welt um ihn herum mitbekommt.
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