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Andreas «Boppi» Boppart |
Humor ist wohl die meist unterschätzte himmlische Gabe, um das Leben erträglich zu machen. Sie begleitet mich schon seit meinen jungen Jahren als Prediger und hat in mir die Leichtigkeit eines erlösten Lachens untrennbar verwoben mit der Liebe zu einer tiefen Spiritualität.
Meine erste «richtige» Predigt hielt ich am 22. August 1999, anlässlich einer Sommernachtsparty. Ich eröffnete sie mit einer humorvollen Anekdote über vier Angestellte des bulgarischen Staatsfernsehens, die entlassen worden waren, weil sie die Sonnenfinsternis verpasst hatten.
Meine Lebensreise
Meine damaligen Predigten waren gespickt mit unterhaltsamen Elementen, Witzen und theatralisch untermalten Geschichten. Das Resultat war, dass viele kirchenferne Menschen sich entspannt dem Glauben annähern konnten – und es zugleich Stimmen aus den eigenen Reihen gab, die den Humor kritisierten. Nachträglich und selbstkritisch betrachtet war davon tatsächlich fast unerträglich viel vorhanden und die eigentliche Aussage leicht verbaut. Wie wenn man bei einer Nussschokolade zwischen all den Nüssen die Schokolade suchen müsste.
Gleichzeitig aber habe ich schon damals in meinen Anfängen als Prediger die nüchterne Erkenntnis gewonnen: Wir Christen sind weitherum ein humorloses Völklein. Dieses Fehlen fröhlicher Ausgelassenheit mag ganz unterschiedlich gewurzelt sein. Für Einzelne war und ist göttliche Heiligkeit und Humor unvereinbar. Andere empfinden geistlichen Tiefgang und die gefühlte Oberflächlichkeit von Humor unpassend. Wieder andere opfern Humor in seiner Gesamtheit, weil er «für bestimmte Personen verletzend sein könnte». Gewisse Kreise wähnen sich in einem ernsten und erbitterten Kampf gegen den allgemeinen gesellschaftlichen Zerfall, in dem es keinerlei Platz für Humor geben kann.
Für mich persönlich war es eine lange Reise, mich mit meinem eigenen Sinn für Humor auseinanderzusetzen und ihn versöhnt auszuleben – dies als Ausdruck meiner Lebensfreude, meiner unbeschwerten hoffnungsvollen Sicht nach vorne und auch meiner Art, das Leben zu ertragen. Ein Meilenstein war mein MA in praktischer Theologie, die sich dem Thema «Humor in der Predigt» widmete und mich selbst zu einem völlig neuen Selbstverständnis führte. Die anfängliche Frage «Hat Humor in der Predigt eine Existenzberechtigung?» drehte sich zur kernigen Aussage: «Christlicher Glaube ohne humorvolle und fröhliche Elemente hat keine Existenzberechtigung.» Hier einige Gedanken, warum Humor für eine gesunde Spiritualität unverzichtbar ist.
Weil er heilsam ist
Wenn man nach Quellen zur medizinischen Wirksamkeit des Lachens sucht, dann stösst man unweigerlich auf den Namen Norman Cousins. Der Wissenschaftsjournalist aus dem 20. Jahrhundert litt an einer unheilbaren Krankheit (Spondylarthritis), seine Überlebenschancen betrugen lediglich 1 : 500. Anstatt nach dem Erhalt der Prognose zu verzweifeln, machte er sich folgende Gedanken: Da es wissenschaftlich bewiesen ist, dass negative Gefühle den Organismus schwächen, könnte der Umkehrschluss möglich sein, dass positive Gefühle eine stärkende Wirkung haben. Vom Krankenhaus zog er in ein benachbartes Hotel und liess sich stundenweise komische Filme vorführen, lustige Bücher vorlesen, von Besuchern Witze erzählen etc. Bald schon entdeckte er, dass er mit seiner These richtig lag. Bereits nach zehn Minuten herzhaftem und intensivem Lachen verspürte er, dass sich seine sonst stark verkrampften Muskeln entspannten, die Schmerzen erträglich wurden und er ca. zwei Stunden zu schlafen vermochte. Ständige Messungen zahlreicher physiologischer Werte bewiesen, dass Lachen die typischen Stressreaktionen reduziert und zu erhöhter Heilstoff-Produktion im Körpersystem führt. Cousins hatte sich buchstäblich gesund gelacht. Nicht umsonst gilt er heute als einer der Väter der Gelotologie, der Lachforschung.
Weil Gottes Dimension aufleuchtet
Der Theologe Stephan Holthaus definiert Humor als «ein Durchkreuzen des Natürlichen». Er ermöglicht uns, die Ebene zu wechseln, auf der wir sonst so oft gefangen sind. Er bringt eine andere Dimension ins Spiel: das Unerwartete, das Überraschende, die unbegrenzte Fantasie beispielsweise, oder eben die unendliche Grösse Gottes, seine Erhabenheit in Bezug auf unsere begrenzten menschlichen Gedanken. Die Fähigkeit, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und darüber herzhaft zu lachen, wurde uns von Gott eingepflanzt. So ist der Rückschluss legitim, dass aufgrund der göttlichen Ebenbildlichkeit nicht nur das Geschöpf, sondern auch sein Schöpfer Humor haben muss. Dementsprechend hielt der Schriftsteller Tucholsky den lieben Gott, an den er angeblich nicht glaubte, gar für einen Humoristen. Was Gott als gute Eigenschaft geschaffen hat, müsse er selbst im Übermass besitzen, lautete Tucholskys hypothetische Schlussfolgerung. Oder anders gesagt: «Gott hat Humor, denn er hat den Menschen geschaffen.» Unsere Frage muss sein: Gestehen wir Gott überhaupt zu, humorvoll zu sein?
Der deutsche Theologe Helmut Thielicke schrieb, dass der Humor im Innersten des Menschen gründet und demzufolge mit seiner Ganzheit zu tun hat. Dabei wirft er die Frage auf, ob der Mensch gerade im Humor seinem eigentlichen Wesen begegne. Dies aufgrund der Tatsache, dass Humor für ihn der Inbegriff der Gelöstheit ist. Was wäre, wenn Thielicke recht hätte und sich der Mensch im Humor so verhält, wie er im Entwurf des Schöpfers gemeint war, und genau dort das menschliche Original aufblitzt?
Weil er gesunde Distanz schafft
Ebenfalls bei Thielicke – und untermauert durch die Thesen namhafter Grössen wie Sigmund Freud oder Viktor Frankl – bin ich auf das Wort «Distanz» gestossen. Er sieht beim Witz die Fähigkeit, Distanz zu sich selbst oder einer Situation zu schaffen, als eine Voraussetzung für das befreiende Gelächter. In Abgrenzung zum Witz ist es Humor, der diesen Freiraum überhaupt erst schafft. Humor ermöglicht uns, auch in schmerzlichen Lebenslagen eine gesunde Distanz zu schaffen, und fördert die Selbstironie, was dann diese Souveränität erzeugt. Komik und Witz stossen hier an Grenzen, die nur noch der Humor zu überschreiten vermag.
Für mich liegt in dieser Fähigkeit, gesunde Distanz zu gewinnen, die wesentlichste Eigenschaft des göttlichen Geschenkes. Das Angebot, im Alltag die Ebene wechseln zu können, den Schauplatz des Geschehens innerlich zu verlassen und die Ereignisse oder sich selbst aus einem entfernteren Blickwinkel zu betrachten. «Nur wer über den Dingen steht, kann sie belächeln», lässt der englische Schriftsteller G. K. Chesterton den Detektiv-Pater Brown sagen.
Weil er zur christlichen Freude gehört
In der Kirche gab es im Spätmittelalter den Brauch des «Risus paschalis», eine besondere Osterliturgie, bei der das Lachen und die Freude der Gläubigen hervorgerufen werden sollten, um an den Sieg von Jesus über den Tod zu erinnern. Dabei tut die christliche Freude nicht so, als ob es kein Leid, kein Kreuz und keine Depression mehr gäbe. Der Autor Josef Danko ist überzeugt, dass nur, wer das Kreuz kennt und mit den Trauernden trauert, drei Tage später auch mit den Lachenden lachen kann. Dieser Brauch der Ostkirche oder auch der Liturgie in den Kathedralen des Mittelalters verwandelte die Kirche zumindest zu Ostern in eine «lachende Kirche». Bei der Nachricht, dass Jesus auferstanden ist, stimmt die Gemeinde in schallendes Gelächter ein, weil Hölle, Tod und Teufel österlich überwunden worden sind.
Natürlich gab es auch Epochen der Humorlosigkeit in der christlichen Kirche. Humorverächter waren insbesondere die Kirchenväter Chrysostomus und Augustinus. Der christliche Gelehrte Origenes meinte, dass der Christ auf Erden weinen solle, da erst im Himmel die Zeit des Lachens käme – im Gegensatz zum antiken christlichen Schriftsteller Tertullian, der diesbezüglich anderer Auffassung war.
Der Schweizer Theologe Karl Barth hat einmal formuliert: «Freude ist das Rarste und Seltenste in dieser Welt. Fanatischen Ernst und Enthusiasmus und humorlosen Eifer haben wir genug, aber Freude? Das weist darauf hin, dass die Erkenntnis des lebendigen Gottes selten ist.» Und er fügt an anderer Stelle hinzu: «Humor ist eine wichtige christliche Angelegenheit, das Gegenteil von aller Selbstbestaunung und Selbstbelobigung.»
Weil er Ewigkeitsperspektive gibt
Josef Danko schreibt auch, wenn der Mensch durch Jesus Christus die Erlösung von Sünden erfährt, wenn er hineingeführt wird in eine ewige und unbeschreibliche, «himmlische» Zukunft auf der neuen Erde, dann wird sein Mund voll Lachens sein. Wie könnte also dieses herzhafte Lachen grundsätzlich etwas Schlechtes sein? Wieso sollte dieses Lachen, das einmal in der Ewigkeit stattfindet, aus der Gegenwart verdrängt werden? In die gleiche Richtung ging der Schriftsteller Jean Paul: «Nur der, der um die Ewigkeit weiss, hat rechten Humor.» Wahrscheinlich können sehr viele Christen heutzutage nicht mehr lachen, weil ihnen diese Ewigkeitsperspektive verloren gegangen ist. Das Wissen um die Ewigkeit relativiert nämlich das Zeitliche und führt dazu, dass man die Dinge, sich selbst und das Leben nicht mehr so verbittert ernst zu nehmen braucht. Es befreit und befähigt zu einer entspannten Lebenseinstellung und lässt uns selbst Schwieriges mit einer gewissen «Heiterkeit» hinnehmen wie etwa Luthers Übersetzung von Psalm 46,3–5 zeigt:
Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind.
Weil er Menschen für Gott öffnet
Es gibt offensichtlich viele Gründe, warum Humor ein wesentlicher Beitrag für gesunde Spiritualität ist. Insbesondere gilt das auch im Hinblick auf gute Predigten. Denn wenn der Verkündiger den Zuhörenden dabei hilft, in diesen humorvollen Zustand einzutreten, ihn vielleicht in all der Schwere seines Lebens überhaupt wieder zu ergründen, dann verhilft er ihnen auch, sich selbst so zu sehen, wie er ursprünglich geplant war. Menschen entdecken unter Umständen nicht nur ihr Lachen wieder, sondern finden auch zu sich selbst und gleichzeitig zu Gott. Von daher dürfte es keine Gemeinde geben, in der Humor in der Predigt keinen Platz hat, denn die Begegnung mit sich selbst und mit Gott gehört zu einem Grundbedürfnis des Menschen. Wo sonst sollte dieses Grundbedürfnis gestillt werden, wenn nicht in unseren Kirchen? Falls Thielicke recht hat, wovon ich ausgehe, dann darf Humor und Lachen nicht mit Abwesenheit glänzen, sondern muss geradezu ein Markenzeichen der Gemeinschaft von Christen werden.
Auf meinem persönlichen Weg dazu hat mir am meisten geholfen, bewusst und genüsslich die Pleiten, das Pech und die Pannen meines Lebens schriftlich festzuhalten. Dadurch lernte ich – auch gemeinsam mit meiner Frau Tamara – mich nach Missgeschicken zunehmend schneller wieder zu fassen. So konnten wir bereits schon lachen, währenddem Tamara Tomatensauce an der ganzen Küchendecke verteilte oder ich auf Fliegenjagd unser Sofa demolierte, und nicht erst hinterher. Wir haben gelernt, die Zeitspanne zu verkürzen, die zwischen einem Lebenslapsus und dem distanzierten «Darüber-Lachen» liegt. Im Leben können wir uns immer entscheiden, ob wir uns ärgern wollen oder ob wir den ganzen Frust einfach weglachen und ihm gar keinen Raum lassen, unser Herz zu zerfressen.
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