Überall brennen die Büsche

von Nicole Schröder

Gott lädt uns ein. Danielle Strickland wird nicht müde, das immer wieder zu betonen. Wenn sie von Gotteserfahrungen spricht, schwingen ganz viel Freude und Abenteuerlust mit. Sie kommt geradezu ins Schwärmen. Gleichzeitig klingen ihre Aussagen zutiefst bodenständig, angenehm schlicht und irgendwie befreiend.

02.07.2024

Danielle, du bist als Leiterin, Speakerin und Autorin gefragt und viel unterwegs. Wie schaffst du es, in enger Verbindung mit Gott zu leben?

Ich bin gar nicht besonders busy. Ich arbeite einfach. Von einem Freund habe ich etwas Wichtiges gelernt: Kümmere dich jeden Tag nur um die drei Dinge, die als nächstes vor dir liegen. Ich muss nicht schon zehn Schritte voraus sein. Dieses Prinzip ist für mich ziemlich befreiend. Es hat für mich viel damit zu tun, präsent zu sein und im Augenblick zu leben. Und das ist überhaupt nicht leicht: Über 70% unserer Gedanken kreisen um die Vergangenheit oder die Zukunft. Gott hingegen ist als das ewige Jetzt immer in der Gegenwart zu finden. Gott, Inspiration, Liebe – alles, wonach ich suche, finde ich im Hier und Jetzt.

Wie darf ich mir das konkret vorstellen? Wo begegnest du Gott in deinem Alltag?

Ich spüre Gottes Gegenwart beim Laufen. Wir sind gerade erst nach Vancouver gezogen. Meine neuen Joggingstrecken sind atemberaubend schön! Wenn ich in der Natur bin, nehme ich mich als Teil der Schöpfung wahr. Ich merke, dass die Welt viel grösser ist als ich selbst und dass da ein Schöpfer dahintersteckt. Und mir wird klar: Es gibt mehr als dieses Leben. Als Jesus in Matthäus 6 mit seinen Jüngern über Sorgen redete, verwies er sie auf die Vögel und die Blumen. «Seht sie euch an!» – Ich denke, er meinte das durchaus wörtlich. Geh nach draussen, fühl die Erde unter deinen Füssen, atme tief ein, schau dir die Vögel und Blumen an. Deine Sorgen werden verfliegen. Warum? Weil dir bewusst wird, dass diese Welt von Gott geschaffen ist und dass da überall Leben ist. Nichts und niemand kann dieses Leben aufhalten und du hast einen Platz in dieser wunderbaren Schöpfung Gottes. Da stehst du dann da und bist einfach nur am Staunen.

Wie ist das mit der Bibel? Begegnen wir Gott nicht auch in seinem Wort?

Ja, zu hundert Prozent. Die Bibel ist keine Gebrauchsanweisung, sondern eine wunderschöne Erzählung, in der es darum geht, dass Menschen Gott suchen, und Gott die Menschen findet. Am liebsten lese ich die Bibel als eine Einladung, Teil dieser Geschichte zu werden. Wir sind eingeladen, darin Entdeckungen zu machen. Ich lese die Texte – vor allem die Evangelien – ganz langsam und versuche, mich in der Geschichte wiederzufinden. Ich nehme verschiedene Perspektiven ein: Wie klingt die Geschichte, wenn ich die notleidende Person bin? Wie klingt sie aus der Sicht der religiösen Leitungsperson oder aus der des Jüngers? Ich stelle mir eine Menge weiterer Fragen: Wo komme ich in der Geschichte vor? Was erfahre ich über Gott? Was soll ich lernen? Womit soll ich mich weiter beschäftigen? Manchmal erleben wir Gott nicht, weil wir auf eine Antwort warten oder meinen, eine Antwort haben zu müssen. Dabei geht es in Beziehungen doch gerade um das Fragen, die Neugier, das Entdecken! Was für eine Beziehung ist das, wenn wir uns nicht für den anderen interessieren? Wie langweilig wird eine Beziehung, wenn wir einander keine Fragen stellen? Jesus hat über 300 Fragen gestellt. Die Bibel ist voller Fragen. Bring Gott deine Fragen! Er liebt das. Vielleicht sind deine Fragen ein Weg, Gott zu begegnen?

Haben wir manchmal vielleicht schräge oder überhöhte Vorstellungen davon, wie eine Gottesbegegnung aussieht?

«Er öffne euch die Augen des Herzens», betet Paulus in Epheser 1,18. Gott lädt uns ein, die Dinge mit anderen Augen zu betrachten. Wir erwarten vielleicht, dass Gott sich in spektakulärer Art und Weise zeigt, wie bei Mose und dem brennenden Dornbusch. Dabei ist es nicht einmal ungewöhnlich, dass der Busch Feuer fängt. Das ist in der Wüste normal. Das Besondere ist, dass das Feuer den Busch nicht verzehrt! Mose nimmt dieses Detail wahr und geht der Sache nach. Als er hingeht, um sich den Busch genauer anzuschauen, hat er eine Gottesbegegnung. Oft warten wir auf den brennenden Dornbusch in unserem Leben. Dabei brennen die Büsche überall! Die englische Dichterin Elizabeth Browning schreibt in ihrem berühmten Gedicht:

«Die Erde ist mit Himmel vollgepackt,
ein jeder gewöhnliche Busch brennt mit Gott. –
Aber nur der, der es sieht, zieht die Schuhe aus.
Die anderen sitzen herum und pflücken Brombeeren.»1

Es geht darum, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, Dinge wahrzunehmen und zu fragen: Was ist denn hier los? Dann begegnen wir Gott.

Was sagst du Menschen, die frustriert sind, weil sie Gott nicht so erleben, wie sie es sich wünschen?

Mach dich locker. Du und ich, wir sind keine Superhelden, und das ist völlig in Ordnung. Lade Gott in dein Leben ein und suche ihn in deinem ganz normalen Alltag. Ich habe einige meiner eindrücklichsten geistlichen Erfahrungen mit meinen Kindern gemacht. Das waren keine krassen, lebensverändernden Erlebnisse, sondern ganz unscheinbare Momente.

Ich neige dazu, Gottesmomente schnell zu vergessen.

In meiner Familie tauschen wir uns jeden Abend aus: Wie geht es dir, was war gut, was war nicht so gut, wo hat Gott gewirkt? Manchmal tauschen wir auch Gedanken aus, die wir beim Bibellesen hatten, oder unsere Söhne erzählen, was in der Schule los war. Mit diesem Ritual üben wir ein, Gottes Wirken um uns herum wahrzunehmen. Eines ist nämlich sicher: Gott ist am Wirken!

Und nebenbei lernen eure Kinder, dass sie alt genug sind, Gott zu erleben – das gefällt mir. Würdest du sagen, dass Menschen Gott unterschiedlich erfahren? Hat das etwas mit unserer Persönlichkeit zu tun?

Unbedingt. Gott hat uns mit unterschiedlichen Persönlichkeiten geschaffen und macht es nicht für alle gleich. Wir sehen das z. B. an den Wundern von Jesus: Es gibt keine Schablone, kein festes Schema. Mal benutzt er Spucke und Matsch, mal spricht er ein einzelnes Wort, manchmal taucht er nicht einmal selbst auf. Ein anderes Mal legt er jemandem die Hände auf, gibt eine Anweisung bzw. stellt eine Frage. Eines ist aber immer gleich: Jesus begegnet den Menschen da, wo sie es brauchen und so, wie sie es brauchen. Ich bin dafür das beste Beispiel. Ich liebe Abenteuer, habe Spass am Entdecken, am Risiko, am Unbekannten. In meiner Kindheit nannte man mich rebellisch, weil ich immer die Grenzen austesten wollte. In der Kirche war all das nicht willkommen. Inzwischen weiss ich: Gott hat mich so geschaffen – das hatte nie etwas mit Rebellion zu tun. Genau diese Eigenschaften machen mich zu einer fantastischen Evangelistin und Speakerin! Was ich damit sagen will: Ich bin überzeugt, dass Gott dir so begegnet, wie es dir entspricht.

Wenn du zurückschaust auf dein bisheriges Leben mit Gott – erlebst du ihn heute anders als am Anfang?

Ich habe lange gedacht, dass wir am Ziel angelangt sind, wenn wir ein Leben mit Gott beginnen. Dabei geht das Abenteuer dann doch erst richtig los! Je länger ich mit Gott unterwegs bin, desto grösser ist meine Neugier und desto mehr bin ich am Staunen. Wir werden unser Leben lang erneuert und es gibt immer noch mehr zu entdecken. Das finde ich enorm befreiend.

Mir macht es bisweilen Druck, wenn ich höre, dass ich immer mehr oder immer neue Erfahrungen mit Gott machen kann.

Mit «mehr» meine ich nicht grösser, toller, spektakulärer. Es geht nicht um Leistung. Vielleicht muss ich mich nicht einmal besonders anstrengen. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit dem Atmen und mit verschiedenen Atemtechniken. Manchmal spreche ich während der Atemübungen ein Gebet. Kürzlich hatte ich Jesus vor Augen, wie er nach der Auferstehung seinen Jüngern begegnet.2 Aus Angst haben sie sich eingeschlossen. Da begegnet ihnen der Auferstandene und haucht sie an. Atmen ist etwas Natürliches, das können wir alle. Vielleicht ist es gar nicht so kompliziert: Wir atmen, versuchen, ganz da zu sein, und lassen uns beschenken.

Können Gotteserfahrungen auch unangenehm oder furchterregend sein?

Ich denke, dass uns alles, was wir nicht kennen, Angst einflössen kann. Was Menschen Angst macht im Hinblick auf die Gegenwart Gottes, sind ihre Vorstellungen von Gott. Auch die Menschen in der Bibel hatten Angst. Sie befürchteten, Gott könnte sie verurteilen. Sie schämten sich und hatten das Gefühl, sie seien unwürdig. Aber weisst du, wie die Geschichte jeweils weitergeht? Gott sagt sinngemäss: «Hab(t) keine Angst. Ich bin nicht so, wie du denkst.» Die Ängste waren unberechtigt, weil Gott gar nicht so ist, wie sie befürchteten. Auch Mose wundert sich über Gott, als das Feuer den Dornbusch nicht verzehrt. Eine Kraft, die nicht unterdrückt, verletzt oder zerstört wird? So etwas kannte er nicht. Und Gott macht deutlich: Das hier ist komplett anders als alles, was du kennst. Was hier passiert ist heilig.

Du machst dich stark für Frauen in Leiterschaft. Erleben Frauen Gott anders als Männer?

Unser einseitig männliches Gottesbild halte ich für problematisch. Wir stellen uns Gott oft als Vater vor, aber selbst Jesus hat ihn nicht nur als Vater beschrieben. Als er über Jerusalem weint, verwendet er zum Beispiel das Bild der Mutterhenne. Für mich war es wichtig, andere Bilder zu haben, weil ich ein schwieriges Verhältnis zu meinem Vater hatte. Ich musste mich aufmachen und verschiedene Bilder miteinander versöhnen: Gott ist ein Vater, aber auch eine Mutter. Er ist Bruder und Schwester, Hirte und Freund. Die Bibel bietet uns verschiedene Bilder an, damit alle Menschen einen Zugang zu Gott finden, und stellt uns Gott auch in weiblichen Bildern vor. In Genesis 1 ist zum Beispiel vom Geist Gottes die Rede, der über den Wassern schwebte. Und das hebräische Wort für Geist ist weiblich. In frühkirchlicher Zeit war der Geist fast immer weiblich, sozusagen der weibliche Teil der Dreieinigkeit. In den Gleichnissen ist Gott sowohl der Hirte als auch die Witwe. Ihr Frauen, traut euch, die weibliche Seite Gottes in den Blick zu nehmen. Ihr Männer, lasst euch darauf ein und benutzt die weibliche Form, wenn ihr vom Geist Gottes redet. Wir sind alle eingeladen, die Fülle Gottes zu entdecken.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person

Danielle Strickland lebt mit ihrem Mann und drei Söhnen in Vancouver. Die Kanadierin ist im ständigen Einsatz für Menschen- und Frauenrechte, schreibt, predigt und hat einen eigenen Podcast. Sie ist seit Jahren mit Campus für Christus verbunden. Eines ihrer Anliegen ist, dass Frauen und Männer im Reich Gottes gemeinsam und auf Augenhöhe unterwegs sind. daniellestrickland.com

 

1 Elizabeth Barrett Browning, The Poetical Works, New York 1910
2 Johannes 20,19 ff.

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Text // Nicole Schröder Die Co-Chefredakteurin war als Kind eher angepasst und heimlich mit Gott im Gespräch. Während des Interviews war sie beeindruckt von der Energie, die ihr Gegenüber ausstrahlte – und das an einem Freitagabend und trotz Jetlag.
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