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Ulrike Bittner |
«Nicht doch, Andi. Ein Stück Kuchen reicht vollkommen.» Yvonne sieht ihrem Mann missbilligend hinterher, als er aufsteht und sich ein zweites Stück Kuchen vom Buffet holt. Ich sitze am Nachbartisch und ahne, dass die beiden später eine Auseinandersetzung haben werden.
Andi wird seiner Frau vorwerfen, ihn zu kontrollieren. Und sie wird ihm erklären, warum das leider notwendig sei. In einer Partnerschaft wird kontrollierendes Verhalten mit grosser Wahrscheinlichkeit zum Problem werden. Im Berufsleben dagegen ist Kontrolle, wenn sie auf angemessene Weise geschieht, nicht problematisch. Da ist sie notwendiger Teil des betrieblichen Ablaufs.
Wie ist das in unserer Beziehung zu Gott? Gibt es von Gottes Seite her so etwas wie Kontrolle? Das liegt nahe, schliesslich ist Gott der Herr der Welt. Ihm gehört – im Bild gesprochen – der Betrieb. Er ist der Eigentümer, und er macht die Regeln. Oder ist es doch anders? Geht es gar nicht um einen Betrieb? Euch habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid, sagt Jesus denen, die ihm folgen (Johannes 15, 15). Wir sind zur Freundschaft mit Gott erwählt worden. Es ist Gottes Entschluss, uns als seine Freunde anzusehen, und Freunde kontrolliert man bekanntlich nicht.
Wir stellen die Frage aber auch andersherum. Versuchen wir Gott zu kontrollieren? Wollen wir ihn auf unsere Vorstellungen von ihm hin festlegen? Versuchen wir, ihm zu sagen, wie er es zu machen hat? Wie würde ein solches Beten klingen? Wie würde solch ein Bibellesen aussehen?
Ich meine, dass es nicht wenige Christinnen und Christen sind, die glauben, Gott sagen zu müssen, wo es lang geht. Sie drängen darauf, dass Gott es so macht, wie sie es erwarten. Sie verhalten sich wie Yvonne ihrem Mann gegenüber: «Das ist jetzt genug. Lass das.» Wenn Christen meinen, es sei ihre Aufgabe, Gott auf den richtigen Weg zu bringen, geschieht das meiner Meinung nach in drei Varianten – (1) der stürmenden, (2) der kämpfenden und (3) der anklagenden. Ich will diese drei kurz darstellen.
«Man muss Gott einfach bestürmen.» So formulieren es manche. Es braucht meinen Einsatz im Gebet, um Gott zum Handeln zu bringen. Denn von allein tut Gott es ja nicht. Wer betet, muss Gott zuerst informieren. Ihm detailliert erklären, wo das Problem liegt, und ihm Vorschläge machen, wie es zu lösen ist. Dahinter steht die Vorstellung, dass Gott weder unsere Not noch den Zustand seiner Welt kennt. Gott muss jedoch nicht nur informiert, sondern auch motiviert werden. Der betende Mensch muss «stürmen», damit Gott sein Gebet überhaupt ernstnimmt. Ausserdem will Gott immer wieder neu um dasselbe gebeten werden. Denn er ist nicht nur uninformiert und unmotiviert, sondern auch noch vergesslich.
Wer so betet, hat eine seltsame Vorstellung vom Gott der Bibel. So wie beschrieben, verhalten sich ja gerade die Götter, über die die Propheten und die Psalmbeter spotten (Psalm 135, 16f). Solche Götter haben mit dem Gott Israels, dem Vater Jesu, nichts zu tun. Garnichts. Beim Gott der Bibel muss man nicht stürmen. Ihr sollt nicht beten wie die Heiden, sagt Jesus. Macht es anders als sie! Denn euer Vater weiss, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet (Matthäus 6, 7f). Jesus bringt seinen Jüngern bei, mit Gott zu reden, wie er selbst es tut. Er redet mit seinem Vater im Himmel. Er sucht die Anliegen seines himmlischen Vaters – und ist sich sicher, dass sein Vater die Anliegen des Sohnes ebenso sorgfältig im Blick hat.
Vielleicht wollen manche von Ihnen jetzt auf die Gleichnisse vom «bittenden Freund» und vom «ungerechten Richter» verweisen. Das sind aber Kontrastgleichnisse. So wie sich der um Mitternacht aufgeweckte Freund (Lukas 11) oder der ungerechte Richter (Lukas 18) verhalten, so verhält sich Gott gerade nicht! Das ist die Pointe dieser beiden Gleichnisse. Während der Freund und der ungerechte Richter erst einmal bestürmt und überredet werden müssen, muss Gott gerade nicht bestürmt und überredet werden. Gott ist anders! Gott gibt seinen Kindern aus freien Stücken, was sie erbitten.
Es soll kein Missverständnis entstehen: Gottes Kinder dürfen immer mit Gott reden, ihm zu jeder Zeit ihre Herzen ausschütten. Aber wir machen das nicht, damit Gott etwas tut. Nicht, um ihn zum Handeln zu bewegen. Gott trägt uns bereits in seinem Herzen, er weiss, was wir bedürfen. Er hat die Haare auf unserem Kopf alle gezählt.
Die zweite Variante des kontrollierenden Gebets besteht in der Annahme, für Gott und seine Sache kämpfen zu müssen. Das Gebet wird zum «Joystick» an einer unsichtbaren Spielkonsole, mit der Einfluss genommen wird auf die Vorgänge in der himmlischen Welt. Es braucht mich, es braucht mein Gebet, damit Gottes Sache auf Erden den korrekten Lauf nehmen kann.
Wer so betet, scheint zu glauben, dass der Kampf im Himmel noch nicht entschieden sei. Das ist er aber! Satan wurde aus dem Himmel geworfen (Lukas 10, 18; Offenbarung 12, 9). Gott hat seine Herrschaft bereits aufgerichtet. Wenn wir Gott um etwas bitten, dann darum, dass Gottes Herrschaft auch bei uns aufgerichtet wird. Im Gebet fragen wir: Gott, wo bist du gerade dran? Was tust du? Da – und genau da – wollen auch wir uns engagieren. So hat es Jesus selbst gehalten (Johannes 5, 19f). Im Gebet bekommen wir Anteil an den Anliegen Gottes. Was Gott tut, darauf wollen wir unsere Aufmerksamkeit und Liebe richten.
Die dritte Variante, Gott zu kontrollieren, verbindet sich mit einer Anklage. Ich halte Gott vor, was er alles nicht für mich getan hat. Da sind Menschen älter geworden, haben sich viel in ihrer Gemeinde eingesetzt und sind zunehmend enttäuscht. Vielleicht wurde der richtige Ehepartner nicht gefunden, die zwei oder drei erhofften Kinder wurden nicht geboren. Das angedachte Eigenheim gibt es nicht, und die Gesundheit ist sowieso ein Thema für sich: «Und dabei hatte Gott es mir doch versprochen.»
An dieser Stelle wird es interessant. Natürlich darf ich nachfragen, natürlich darf ich reklamieren bei Gott. Aber es braucht den Fakten-Check. Wenn man so will, ist jetzt tatsächlich eine Kontrolle angebracht. Was hat Gott mir versprochen? Hat er sein Versprechen nicht gehalten? Oder wurden meine Vorstellungen enttäuscht, die ich von ihm habe?
Wenn ich Enttäuschung verspüre und meine, Gott sei mir etwas schuldig, muss ich fragen: Was hat er mir denn versprochen? Ich mache einen Abgleich meiner Realität mit den Zusagen Gottes. Das darf ich, ohne jede Einschränkung. Dafür muss ich allerdings wissen, was Gott mir tatsächlich zugesagt hat. Was hingegen sind Dinge, von denen ich nur meine, dass er sie mir zugesagt hat? Lesen wir also nach, was Gott seinen Jüngern versprochen hatte. Petrus war so freundlich, diese Frage direkt an Jesus zu richten: Was wird uns dafür? Was bekommen wir dafür, dass wir dir gefolgt sind und vieles verlassen haben? Und er bekommt eine ebenso direkte Antwort. Ich lade euch dazu ein, die Antwort in Markus 10, 28ff selbst nachzulesen.
Gott aus der Kontrolle zu entlassen bedeutet, dass ich erstens damit aufhöre, ihn manipulieren zu wollen. Ich muss weder viel, noch oft, noch tränenreich beten. Ich entlasse Gott aus der Kontrolle, indem ich ihn zweitens dafür anbete, dass er den Kampf bereits gewonnen hat. Es ist meine Aufgabe, das zu bezeugen. Und ich entlasse Gott aus meiner Kontrolle, indem ich mich drittens an seine Zusagen halte. Auf diese Zusagen dürfen wir Gott behaften, und wir sollen das auch! Aber ob meine Vorstellungen von persönlichem Glück, Familie, Haus, Beruf usw. erfüllt werden, darf nicht zum Kriterium der Glaubwürdigkeit Gottes werden.
Dass Gott mir Gutes tun will, steht ausser Frage. Er sucht mich in derselben Weise, wie ich ihn suche. Er ist ja der Freund. Er hat Freude daran, uns immer mehr zu den Menschen werden zu lassen, die wir sind. Dazu müssen wir Gott nicht überreden.
Wie sieht es nun von Gottes Seite her aus? Kontrolliert Gott seine Welt, kontrolliert er seine Gemeinde? Das Wort «Kontrolle» kommt in der Bibel zwar nicht vor, aber es heisst oft, dass Gott «sieht» und dass er «prüft». Gott macht den Fakten-Check, indem er hinschaut, ob unsere Lebensführung dem entspricht, was er uns anvertraut hat. Es ist ihm nicht egal, wie Menschen leben. Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott (Micha 6, 8). Gott schaut nicht hin, um alles im Griff zu behalten oder damit nichts aus dem Ruder läuft. Er will seine Welt vielmehr zurechtbringen, bevor seine Herrschaft sichtbar und die Erde endgültig erneuert wird.
Gott sieht sich ununterbrochen an, was ihm gehört. Seit der Schöpfung heisst es, dass er «sieht» und dass er für das Seine sorgt. Im Alten Testament wird 1303 Mal vom «Sehen» erzählt. Wenn es um uns Menschen geht, schaut Gott genau hin: Wie verhält es sich? Wie machen sie es? Wie geht es ihnen? Dass Gott hinschaut, heisst, dass sein Handeln auffallend frei von Ideologie ist. Es zählt nicht das, was er theoretisch über uns «denkt», sondern was er an uns «sieht». Er sieht auch auf das, was nicht im Lot ist. Immer wieder kündigt er Gericht an. Siehe, die Augen Gottes des HERRN sehen auf das sündige Königreich, dass ich’s vom Erdboden vertilge, wiewohl ich das Haus Jakob nicht ganz vertilgen will, spricht der HERR (Amos 9, 8).
Gott prüft uns Menschen also. Was heisst das genau? Wie der Tiegel das Silber und der Ofen das Gold, so prüft der HERR die Herzen (Sprüche 17, 3). Oder: Einen jeglichen dünkt sein Weg recht; aber der HERR prüft die Herzen (Sprüche 21, 2). Ich würde das als eine Form des Kontrollierens beschreiben. Gott macht einen Reality-Check. Er überlässt es nicht unserem Urteil, sondern er urteilt selbst darüber, ob unser Weg gut ist.
Gott prüft auch seine Gemeinde, diejenigen, die zu ihm gehören. Diese blieben, um Israel durch sie zu prüfen, damit kund würde, ob sie den Geboten des HERRN gehorchten, die er ihren Vätern durch Mose geboten hatte (Richter 3, 4). An unserem Verhalten wird sichtbar werden, ob wir tatsächlich an Gott festhalten bzw. «festkleben», wie es die hebräische Sprache ausdrückt (Psalm 22, 5f). Erst im Lebensvollzug zeigt sich, ob ich tatsächlich an Gott festgemacht bin. Schlimm wäre es, wenn ich mich dabei über mich selbst täuschen würde. Wenn ich meine, ich würde an Gott hängen, aber in Wirklichkeit klebe ich an etwas anderem. Darum betet der Psalmist in Psalm 139: Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine. (Psalm 139, 23)
Manche Geschehnisse oder Lebensumstände werden sich als Zeit der Prüfung herausstellen. Sie helfen dabei, dass ich mich als wahr – heisst als verlässlich – erweise: gegenüber Gott und gegenüber Menschen. Vielleicht bekommt jetzt der eine oder andere Angst. Und wenn es am Ende doch nicht reicht? Wenn Gott mich prüft, kann es dann sein, dass es zu wenig ist, nicht genug ist, nicht genau genug ist? Es ist bedenklich, wenn wir glauben, dass Gott mich prüft, um mir meine Defizite vorzuhalten. So ist es nicht. Gott prüft mich, damit ich mich nicht täusche. Er prüft mich aber auch, um mir am Ende zurecht zu helfen. Wo es bei mir nicht reicht, da bitte ich Gott darum, dass er mich weiterbringt. Und er tut es. Ich werde gerichtet durch Jesus, der sich an unserer Stelle hat richten lassen. Darum kann mir nichts Besseres passieren, als dass Gott genau hinsieht.
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